Allgemeine Rechtsprechung
Häufig lehnen Krankenkassen die Versorgung mit der Begründung ab, das beantragte Hilfsmittel sei nicht im Hilfsmittelverzeichnis genannt. Der Versorgungsanspruch ist allerdings nicht auf die im Hilfsmittelverzeichnis genannten Hilfsmittel begrenzt. Die folgenden Auszüge vermitteln einen Eindruck, welche Hilfsmittel von den Gerichten in verschiedenen Einzelfällen dem Versicherten zugesprochen wurden.
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Ein Therapiedreirad mit elektromotorischer Restkraftverstärkung ist geeignet, um einer Versicherten den Nahbereich ihrer Wohnung zu erschließen.
Sind alle weiteren in Betracht kommenden Hilfsmittel, wie ein einhändiger Rollator, ein Schieberollstuhl, ein Elektrorollstuhl oder ein Dreirad ohne elektromotorische Restkraftverstärkung nicht als gleich geeignet anzusehen, besteht ein Anspruch auf Versorgung mit einem Therapiedreirad.
Überdies begründete die Krankenkasse ihre ablehnende Entscheidung damit, dass der Verordnung ein Behandlungskonzept mit heilender Wirkung zu Grunde liege. Es handele sich daher um eine Form der Krankenbehandlung und nicht um die Versorgung mit einem Hilfsmittel, sodass der Versicherten kein Anspruch auf Versorgung zustünde.
Das Sozialgericht urteilte hingegen, dass das hier begehrte Hilfsmittel gerade nicht auf eine Rehabilitation, also dem Heilen oder Verhüten von Beschwerden, diene. Vielmehr soll mit dem Therapiedreirad eine Behinderung ausgeglichen werden. Denn die Auswirkungen der Behinderung würden im gesamten tägliche Leben beseitigt oder gemindert. Damit diene das Hilfsmittel einem selbstbestimmten und einem selbstständigen Leben.
Die Krankenkasse wurde schlussendlich verurteilt, die Kosten für das beantragte Therapiedreirad mit elektromotorischer Restkraftverstärkung zu übernehmen.
Die Entscheidung des Sozialgerichts zeigt, dass die schwerpunktmäßige Ziel- und Zwecksetzung eines Hilfsmittels für den Einzelfall konkret zu bestimmen ist, um sodann die Versorgung in den entsprechenden Fällen von der Krankenkasse zu beanspruchen.
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Bei dieser Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg ging es um den Austausch einer vorhandenen Hilfsmittelversorgung mit einem elektrischen Zusatzantrieb durch einen restkraftunterstützenden Greifreifenantrieb zur Nutzung an einem vorhandenen manuellen Rollstuhl.
Die Versicherte war in dem hier zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt bereits mit einem manuellen Rollstuhl mit einem elektrischen Zusatzantrieb versorgt. Nun begehrte die Versicherte die Versorgung mit einem restkraftunterstützenden Greifreifenantrieb. Die Krankenkasse lehnte die beantragte Versorgung ab, denn die erfolgte Versorgung sei höhenwertiger, als die nun beantragte Versorgung.
Das LSG Berlin-Brandenburg entschied, dass die beantragte Versorgung, trotz bereits erfolgter höhenwertiger Versorgung, erforderlich sein kann, wenn das vorhandene Hilfsmittel aufgrund der individuellen Krankheitsentwicklung nicht mehr die angemessene Versorgung darstellt.
Dies sei der Fall, wenn die bisherige Versorgung dem behinderten Menschen nicht mehr die Möglichkeit gebe, sich selbständig im Wohnumfeld zu bewegen und notwendige Bedürfnisse ohne Hilfe durch andere Personen zu befriedigen, so das LSG Berlin-Brandenburg.
Sind Versicherte bereits mit einem Hilfsmittel versorgt und beantragen diese nunmehr eine nicht so hochwertige Versorgung, kann die Krankenkasse die Versorgung nicht mit der Begründung ablehnen, die beantragte Versorgung sei nicht so hochwertig, wie es die aktuelle Versorgung ist.
Ändert sich das Krankheitsbild, so ist auch eine Anpassung der Versorgung vorzunehmen, um ein Gleichziehen mit einem gesunden Menschen weitestgehend zu ermöglichen.
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Bei einem Liege-Dreirad handele es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, weil es nicht speziell für die Bedürfnisse behinderter Menschen konstruiert worden sei und nicht nur von Behinderten eingesetzt werde, so das Sozialgericht Aachen in der dortigen Entscheidung.
Gleichwohl war ein Anspruch des Klägers abzulehnen. Denn das Liege-Dreirad mit Elektromotor ist weder zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung, noch zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung, noch zum Ausgleich einer Behinderung erforderlich, weil es im zu entscheidenden Falle für die Bewältigung von Strecken genutzt werden sollte, die über den Nahbereich der Wohnung hinausgehen. Dies sei allerdings nicht Inhalt des Versorgungsanspruchs.
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Der Steh- und Gehtrainer Innowalk® wird im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Damit stellt der Steh- und Gehtrainer eine neue Behandlungsmethode im Sinne des § 135 SGB V dar.
Das mit dem Innowalk® verfolgte Konzept besteht in einer Kombination der unterstützten Vertikalisierung und des fremdkraftbetriebenen Beintrainings. Keines dieser Konzepte sei in diesem Sinne neu, sondern gehöre zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine wesentliche Änderung der Behandlungsmethode liege nicht vor, da die Kombination der Vertikalisierung und des Beintrainings keine neue Wirkungsweise darstelle. Die Kombination der Konzepte führt lediglich zu einer intensiveren Umsetzung der der genannten Konzepte.
Gleichwohl bestehen im Rahmen der Versorgung mit dem Steh- und Gehtrainer erhöhte Risiken für den Anwender. Dies macht eine positive Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss erforderlich.
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Bei dem begehrten Therapie-Tandem kann der 2008 geborene Kläger mittreten und dadurch mit eigener Muskelkraft (gemeinsam mit dem Tandem-Partner) allgemeine Versorgungswege, z.B. zum Milchholen auf dem Bauernhof, ebenso wie die gesundheitserhaltenden Wege zu Ärzten und Therapeuten zurücklegen. Mithin ist es dem Kläger mit diesem Hilfsmittel möglich, sich durch eigene körperliche Bewegung den Nahbereich zu erschließen.
In diesem Zusammenhang kann die entwicklungsbedingt notwendige Integration des Klägers im Kreis etwa gleichaltriger Kinder, wozu auch Geschwister zählen können, ein Grundbedürfnis darstellen.
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Das LSG Nordrhein-Westfalen hat mit seinem Urteil vom 27. Februar 2020 klargestellt, dass sich gesetzlich Versicherte nicht auf die alleinige Versorgung mit einem Aktivrollstuhl und einem Stehrollstuhl verweisen lassen müssen.
Das hier begehrte Hilfsmittel ersetze die Funktion der Beine, in dem es das selbstständige Stehen und Gehen ermögliche. Daher sei es als orthopädisches Hilfsmittel zu verstehen und könne im Rahmen des unmittelbaren Behinderungsaugleichs beansprucht werden.
Die Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen ist rechtskräftig.